Politik ist immer noch sehr oft von Ideologie geprägt. Probleme werden identifiziert, je nach Weltbild werden Lösungen vorgeschlagen und diskutiert, eine setzt sich durch – oder es passiert gar nichts. Dabei könnten Politik und Entscheidungsträger schon längst auf empirische Daten zurückgreifen, wie John A. List von der University of Chicago am Mittwoch, 7. September, bei der ersten Veranstaltung des „Vienna Behavioral Economics Network“ im Haus der Industrie in Wien eindrucksvoll erläuterte.
„Wir alle sind Laborratten“, sagte List. Und verwies auf „unseren zunehmend digitalen Alltag, in dem wir online Flüge buchen oder über Amazon shoppen. Unternehmen nutzen dabei die Daten unseres Verhaltens, um systematisch unsere Entscheidungen zu beeinflussen“.
Auch die Politik könne Daten nutzen, etwa damit Menschen aufhören zu rauchen, Teenager seltener schwanger werden oder Kinder aus mittellosen bzw. aus Familien mit niedrigem Bildungsgrad bessere Chancen im Leben bekommen.
„Wir haben gezeigt, dass wir mit ökonomischen Modellen etwa Teenager-Schwangerschaften sehr gut prognostizieren können“, so List. Ausgehend von diesen Modellen entwickelte er Interventionen, um kognitive und nicht-kognitive Skills schon im Vorschulalter zu fördern und damit die Wahrscheinlichkeit für Teenagerschwangerschaften oder des Abdriftens in die Kriminalität zu senken.
Save the date!
5. Dezember 2016, 18:30, Wien
Behavioral Economics: The Power of Nudges – Einsatz & Grenzen sanfter Stupser
Diese Herangehensweise, um Antworten auf eine ökonomisch und gesellschaftspolitische Frage zu finden, ist typisch für Lists Arbeit. Der Forscher gehört einer neuen Generation von Ökonomen an, die systematisch untersuchen, wie sich Menschen in der Wirtschaftswelt verhalten. Dafür nutzt er Feldexperimente und erregt mit seiner Arbeit in der Fachwelt so viel Aufsehen, dass er regelmäßig als aussichtsreicher Kandidat für den Wirtschaftsnobelpreis gehandelt wird.
Bildungspolitik als Feldexperiment
Mit einer Zehn-Millionen-Dollar-Spende des Hedgefonds-Managers Kenneth Griffin baute List im Süden von Chicago, dem Armenviertel Chicago Heights, gleich eine ganze Versuchsschule auf. „Schulen sind nicht nur dafür da, unsere Kinder zu unterrichten. Sie lehren auch uns, was funktioniert – und was nicht“, sagte der Ökonom in seinem Vortrag. Darum besucht ein Teil der Kinder, die sich an dem Versuch beteiligen, eine extra eingerichtete Vorschule. Ein anderer Teil besucht die Vorschule nicht, stattdessen bekommen die Eltern spezielle Kurse in Kindererziehung und werden dafür auch belohnt. Das Ergebnis: Kinder, deren Eltern Kurse besuchten und mit ihrem Nachwuchs übten, wiesen langfristig deutlich bessere kognitive und nicht-kognitive Skills auf als Kinder der anderen Versuchsgruppe.
Auch mit Incentives für Lehrer experimentiert List: An einigen der Schulen werden den Lehrern im Vorhinein Boni ausbezahlt. „Wenn die Schüler bestimmte Ziele nicht erreichen, müssen sie diesen zurückzahlen“, sagt er. „Die Lehrer strengen sich dann wirklich mehr an, weil sie das Geld auf keinen Fall verlieren wollen.
John List steht wie kein anderer für die empirische Revolution in der Ökonomie. Diese sorgt für praxisrelevante Ergebnisse, die in Politik und Wirtschaft getestet und schrittweise implementiert werden können – abseits aller Ideologie. Eine Einschätzung, die in der anschließenden Diskussion auch die österreichische Familien- und Jugendministerin Sophie Karmasin teilte. Auch sie wendet in ihrem Ressort bereits die empirischen Erkenntnisse der Verhaltensökonomie an. So werden derzeit etwa schnell wirksame Maßnahmen ausgearbeitet, die mehr Väter dazu bewegen könnten, ihre Karenzzeit zu nutzen. Eine Herangehensweise ganz im Sinne Lists: „Ich kann nur eines raten: Wenn Sie politische Themen angehen, dann machen Sie das experimentell.“