Wie können wir die Erkenntnisse aus der verhaltensökonomischen Forschung nutzen, um Chancengleichheit herzustellen? Das erläuterte die Schweizer Verhaltensökonomin Iris Bohnet anschaulich bei ihrer Keynote in Wien auf Einladung des „Vienna Behavioral Economics Network“ (VBEN).
Ist ein attraktiver Mensch leistungsfähiger? Ist eine Bewerberin oder ein Bewerber besser für einen Job geeignet, weil sie oder er ein ähnliches Hobby betreibt wie ich? Ist ein Mann der geeignetere Kandidat, weil ich ihm eine Führungsrolle auf Grund seines Geschlechts eher zutraue als einer Frau? Die Antwort auf solche Fragen muss natürlich immer „Nein“ lauten, dennoch fließen wie überall im Leben auch in Bewerbungs- und Beförderungsprozessen irrationale Faktoren wie Aussehen, Sympathie und Vorurteile mit ein. Denn Menschen entscheiden nicht nur mit dem Kopf, sondern genauso mit dem Bauch, wie die verhaltensökonomische Forschung zeigt, und vorherrschende Muster lassen uns die Welt auf eine ganz bestimmte Weise betrachten. All das wirkt sich auch auf die Wirtschaft aus.
Vorurteilsfrei entscheiden heißt besser entscheiden
„Sobald wir jemanden sehen, passieren in unseren Köpfen unheimlich viele Dinge“, sagte die bekannte Verhaltensökonomin und Experimentalforscherin Iris Bohnet in ihrer Keynote beim Treffen des „Vienna Behavioral Economics Network“ (VBEN) am 10. Oktober in Wien. „Und wir reagieren darauf, obwohl sie keinen Einfluss zum Beispiel auf die Leistung haben.“ So würden viele von uns wohl eher einen Howard als eine Heidi als Führungskraft einstellen, auch wenn beide die gleichen Qualifikationen mitbringen, „weil Heidi einfach nicht dem entspricht, wie wir uns eine Unternehmerin vorstellen und weil sie auch nicht die Rolle der ‚typischen Frau‘ einnimmt.“ Dieses von Bohnet dargestellte Experiment wurde wirklich durchgeführt und zeigte, wie sehr uns festgesetzte Rollenbilder beeinflussen.
Wie es uns dennoch gelingt, gute Entscheidungen zu treffen, beschrieb Bohnet schon in ihrem vielbeachteten Buch „What works – Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann“, das sie auch nach Wien mitbrachte. Verhaltensdesign liefert viele einfache, aber effiziente Werkzeuge, mit deren Hilfe wir alles, was über die reine Qualität hinausgeht, ausblenden können. Für die Schweizerin, die seit 2011 Dekanin der Wirtschaftsfakultät an der berühmten Harvard Kennedy School in Cambridge und seit 2012 auch Mitglied des Verwaltungsrates der Credit Suisse ist, steht immer die Frage im Mittelpunkt, was uns zu unseren Entscheidungen bewegt und wie wir es schaffen können, diese vorurteilsfrei nach ausschließlich objektiven Kriterien zu treffen.
Einfacher Vorhang, große Wirkung
Wie bei all ihren Vorträgen war Bohnet auch beim jüngsten VBEN-Treffen in den Räumlichkeiten der Österreichischen Nationalbank die Aufmerksamkeit des auffallend jungen Publikums, wie Gouverneur Ewald Nowotny in seinen Begrüßungsworten feststellte, gewiss. Sehr praxisnahe erläuterte sie vor rund 180 Interessierten, wie wir die Erkenntnisse aus der verhaltensökonomischen Forschung nutzen können, um Chancengleichheit herzustellen und dadurch die Qualität zu heben.
Als Beispiel nannte sie unter anderem das Bostoner Symphonieorchester, in dem wie in vielen anderen Orchestern auch ein sehr niedriger Frauenanteil festgestellt worden war. Weil Frauen rational betrachtet aber kaum schlechtere Musiker als Männer sein dürften, musste es dafür einen anderen Grund geben. Also wurde mit dem denkbar einfachsten Mittel, einem Vorhang, dafür gesorgt, dass die Jury nur noch die Musik der Vorspielenden zu beurteilen hatte. Diese kleine Veränderung zeigte große Wirkung, denn plötzlich stieg der Anteil der Frauen erheblich an.
Mit Verhaltensdesign zu mehr Chancengleichheit
„Menschen machen Fehler, das ist ja auch die Prämisse der Verhaltensökonomie“, betonte Bohnet in weiterer Folge. Und Verhaltensdesign soll im Grunde nichts anderes bewirken, als solche Fehlerquellen zu Gunsten der Qualität zu minimieren. Für den Rekrutierungsprozess empfiehlt sie etwa ganz klar strukturierte Interviews mit objektiv vergleichbaren Bewertungskriterien. Das, ein einfacher Vorhang, technische Tools, auf die auch kleinere Unternehmen zurückgreifen können, eine genderneutrale Sprache in Stellenanzeigen, das Abdecken von Namen und anderen „verräterischen“ Daten bei Bewerbungen oder einfacher und gerechter gestaltete Tests sind allesamt Maßnahmen, die uns dabei helfen sollen, bessere (Personal-)Entscheidungen zu treffen.
All das sorgt nicht nur für mehr Diversität, sondern in der Folge auch dafür, dass Unternehmen, Organisationen und Institutionen eine bessere Auswahl an Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung steht. Etwa weil sich plötzlich Menschen für eine Stelle bewerben, die sich durch ein nicht gendergerechtes Wording nicht angesprochen gefühlt hätten, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt und befördert werden, deren Chancen zuvor stark gemindert gewesen wären, oder durch das Schaffen von Rollenvorbildern alleine schon deshalb, weil sich Frauen dadurch überhaupt erst einmal zutrauen, die gleiche Karriere wie Männer machen zu können. Oft sind es dabei schon vermeintliche Kleinigkeiten. Lange Zeit sei nicht einmal ihr selbst aufgefallen, dass sich unter allen Porträtbildern herausragender Wissenschafter an ihrer Universität keine einzige Frau befand, so Bohnet. Nach dieser Erkenntnis habe man das freilich geändert, denn man müsse nur überlegen, was man den weiblichen Studierenden damit kommuniziert.
Es braucht auch neue Vorbilder
„Nicht alle Menschen bekommen die gleiche Unterstützung, um Leistung zu bringen“, gab Bohnet zu bedenken. Gundi Wentner, Gründungspartnerin von Deloitte Human Capital Österreich, weiß aus ihrer täglichen Praxis, wie wichtig es ist, Frauen bis in die Endrunde des Bewerbungsprozesses zu bringen. Ab dem Zeitpunkt, an dem alle Kandidatinnen und Kandidaten die gleichen Aufgabenstellungen zu lösen haben, spiele das Geschlecht dann meistens keine Rolle mehr, sagte sie im Gespräch mit Bohnet. Im Grunde beginne vieles sogar schon mit der Auswahl der BeraterInnen, wo Männer durchschnittlich einfach öfter Männer einstellen würden.
Es geht auch darum, einen Anfang zu machen, Vorbilder zu schaffen und Dinge, die nicht passen, klar sichtbar zu machen. Und wenngleich etwa eine Frauenquote nicht immer das Allheilmittel sein kann, kann sie unter Umständen als eine Art Werkzeug für mehr Geschlechtergerechtigkeit dienen. Ein Beispiel ist die vor Jahren in Indien eingeführte Quote für Bürgermeisterämter. Je mehr Frauen als Bürgermeisterinnen erfolgreich waren, umso mehr Eltern wollten Gleiches für ihre eigenen Töchter. Zuvor wäre das fast unvorstellbar gewesen. „Eine Frau hat dafür nicht gereicht, aber schon zwei haben die Stereotype bereits verändert“, so Bohnet.
Mehr Frauen in Führungspositionen bringen
Vielleicht ist eine der größten Hürden, bestehende Ungleichheiten überhaupt einmal als solche zu erkennen. Passiert das, würden viele immer noch an der Anpassung der internen Prozesse scheitern. Helfen können hier konkrete Zielvorgaben, sagt Bohnet. Und auch Anreize können dazu beitragen, dass das Management tatsächlich umsetzt, was das Verhaltensdesign vorschlägt.
Noch sei jedenfalls viel zu tun. Aber: „Es muss einmal begonnen werden. Es müssen mehr Frauen in Führungspositionen kommen, damit sich auch langfristig etwas ändert.“
Dieser Artikel erschien auch im Blog von Corinna Fehr.