Der Generationenvertrag mit seinen Transferleistungen zwischen Jung und Alt ist die Grundlage des Pensionssystems. In seinem Kern setzt er auf eine fein austarierte Solidarität zwischen den Generationen. Wenn diese aus dem Gleichgewicht gerät, gerät auch die Gesellschaft unter Druck. Die Auswirkungen so einer Entwicklung können gravierend sein, wie sich derzeit in Frankreich beobachten lässt. Wegen einer Pensionsreform ist das Land seit Wochen von einem Generalstreik gelähmt, die Straßenproteste sind zusehends von Gewalt geprägt.
Arno Riedl, ordentlicher Professor für Public Economics an der Maastricht University (Niederlande), forscht schon seit vielen Jahren zur Frage, wie Institutionen (etwa Märkte) unsere Präferenzen und Überzeugungen prägen, und was das wiederum für das Design von Institutionen bedeutet. Bei der mittlerweile 15. Veranstaltung des Vienna Behavioral Economics Network (VBEN) in der Oesterreichischen Nationalbank referierte er aus seiner Grundlagenarbeit zur verhaltensökonomischen Evidenz zu Rissen im Generationenvertrag.
Wie solidarisch sind Menschen?
Solidarität zwischen den Generationen, so Riedls These, drückt sich auch in den Institutionen aus, die eine Gesellschaft erschafft. Eine öffentliche Krankenversicherung basiert auf Solidarität zwischen Gesunden und Kranken, eine Arbeitslosenversicherung steht für die Solidarität zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen. Und Pensionssysteme basieren sogar auf zwei Ebenen auf Solidarität: Innerhalb der Generationen werden die Risiken verteilen – und zwischen den Generationen zeigt sich die Solidarität durch Transferzahlungen.
Dich Riedl interessieren grundlegendere Fragen: Wie solidarisch sind Menschen eigentlich? Sind alle gleich? Oder haben Alter, Geschlecht oder Bildung Einfluss darauf? Um das herauszufinden designte Arno Riedl in den Niederlanden ein Experiment, bei dem auch die Ausprägung der Solidarität von Generationen gemessen werden konnte.
Eine gute und eine schlechte Nachricht
Die Ergebnisse bergen eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute, so Riedl: „Menschen sind solidarisch. Die schlechte ist, dass sie systematisch die eigene Generation bevorzugen und andere benachteiligen.“ Ebenfalls auffällig: Alle Generationen eint eine jeweils falsche Erwartung an die Solidarität der anderen. Junge Menschen etwa erwarten sehr viel von der älteren Generation, erhalten aber tatsächlich viel weniger.
Riedls Fazit: „In diesen Ergebnissen liegt das Potenzial für Risse im Generationenvertrag.“ Doch gleichzeitig schränkt der Forscher ein: Die Daten aus den Niederlanden lassen sich nicht einfach auf andere Länder umlegen, auch aufgrund der unterschiedlich gestalteten Pensionssysteme. Denn, so Riedl: „Wir wissen nicht, ob nicht auch das Design signifikante Auswirkungen auf die Solidarität hat.“ Es braucht also mehr Wissen – und das kann nur durch weitere Grundlagenforschung geschaffen werden.
Save the date: 11. Mai 2020
Das nächste Treffen des „Vienna Behavioral Economics Network“ findet am 11. Mai 2020 statt. Keynote Speaker ist David Dreyer Lassen, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kopenhagen, Gründungsdirektor des Center for Social Data Science (SODAS) und stellvertretender Direktor des Center for Economic Behavior and Inequality (CEBI). Er forscht insbesondere auf dem Feld Social Data Science zu Big Data und darüber, wie sich die Digitalisierung auf das menschliche Verhalten auswirkt.